In der populär- und pseudowissenschaftlichen Literatur begegnen uns immer wieder Titel, die uns glauben machen (sollen), dass man Lügen sicher erkennen kann. „Entlarvt! Wie Sie in jedem Gespräch an die ganze Wahrheit kommen“, „Durchschaut: Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven“ oder „Menschen lesen. Ein FBI-Agent erklärt, wie man die Körpersprache entschlüsselt“ sind hier nur ein paar wenige Beispiele.

In der wissenschaftlichen Literatur existieren verschiedene Modelle, mit denen man versucht unwahre von wahren Aussagen zu unterscheiden. Beim Erregungsansatz geht man davon aus, dass die absichtliche Täuschung eine Erregung hervorruft, z.B. erhöhtes Blinzeln, Sprechfehler. Der Emotionsansatz wiederum nimmt an, dass die täuschende Person sich schuldig fühlt und Angst hat enttarnt zu werden, was sich in Unruhe und ausweichendem Antwortverhalten zeigen müsste.
Auch im Alltag unterliegen wir der Vorstellung, dass man einen Lügner an seinem verbalen (z.B. kürzer werdende sprachliche Äußerungen) oder nonverbalen Verhalten (z.B. rot werden) erkennen kann.

Wenn es doch so einfach wäre….

Eine Unmenge an Studien (im Wesentlichen Versuchsreihen und Experimente) hat gezeigt, dass die Sache doch komplizierter ist. Die o.g. Verhaltensweisen können z.B. Ausdruck von Stress sein, und Stress kann auch entstehen, wenn man als Unschuldiger das Gefühl hat, dass einem die wahrheitsgemäße Aussage nicht geglaubt wird. Auch der Polygraph (im Volksmund „Lügendetektor“) zeichnet übrigens nur Körperreaktionen, also Stressreaktionen auf.
Außerdem können bestimmte Verhaltensweisen auch noch andere Ursachen haben (ständig rotes Gesicht oder bei vermeintlicher Unruhe die „restless legs“), und schließlich gibt es doch auch Menschen, die so geschickt täuschen können, dass selbst die eigene Mutter nicht auf die Idee käme, in diesem Moment angeschwindelt zu werden. Und nebenbei: Psychopathen können ganz hervorragend lügen.
Z.T. wurden in den Studien durchaus Effekte beobachtet (Erweiterung der Pupillen, Zunahme inkongruenter Botschaften), die aber zu klein sind, um signifikante Bedeutung zu erzielen, und das heißt im Klartext: Die Beobachtung verbaler oder nonverbaler Indikatoren mit dem Ziel Lügen zu erkennen ist im Ergebnis ungeeignet.

Heißt das für die Befragungs- und Vernehmungspraxis, dass man chancenlos ist?

Keineswegs, wenn man den Blick nicht mehr auf die Aussageperson richtet, sondern sich auf den Inhalt der Aussage konzentriert. Besonders in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen kann man z.B. untersuchen, ob die Aussage sog. Realkennzeichen enthält, deren Vorhandensein grundsätzlich dafür spricht, dass das Behauptete erlebnisbasiert ist, was wiederum heißt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gelogen wurde. Und wenn man bei einem (tatsächlichen und nicht vermeintlichen) Lügner durch die richtige Vernehmungstaktik erreichen kann, dass er sich in ausreichend Widersprüche verstrickt, dann sind an dem Wahrheitsgehalt seiner Angaben durchaus berechtigte Zweifel angebracht.

Also: Nicht auf Äußerlichkeiten achten, sondern auf Inhalte!