Wir alle kennen solche Situationen – wenn nicht aus eigenem Erleben, dann aus dem Fernsehen. Der Schutzpolizist befragt auf der Straße das Verkehrsunfallopfer. Der Mordermittler unterhält sich mit dem Tatverdächtigen. Ein Privatdetektiv spricht mit einem Versicherungsnehmer.
Aber was machen die genau? Ist das alles schon Vernehmung? Was ist eigentlich Vernehmung?
Rechtlich gesehen ist eine Vernehmung allein staatlichen Strafverfolgern (Polizei, Staatsanwaltschaft, Zoll- und Steuerfahndung) und Gerichten (Einzelrichter oder Kammer) vorbehalten. Wer nämlich jemandem in amtlicher Eigenschaft gegenübertritt und in dieser Eigenschaft Auskunft verlangt, der vernimmt (so hat es der Bundesgerichtshof in den 90er Jahren entschieden). Voraussetzung ist natürlich, dass es ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gibt und dass die Rolle des zu Vernehmenden hinreichend klar ist (Zeuge, Sachverständiger oder Beschuldigter).
Kriminalistisch betrachtet könnte man den Vernehmungsbegriff ausweiten. Dann würden auch diejenigen, die im Rahmen eines Gesprächs Informationen erlangen und damit zur Aufklärung eines strafrechtlich relevanten – vielleicht auch zivilrechtlichen – Sachverhalts beitragen wollen, vernehmen. Und sowohl Versicherungsdetektive als auch der Wirtschafts- oder Privatermittler haben in der Regel das Ziel nicht nur den Sachverhalt aufzuklären sondern auch herauszufinden, wer als Verursacher für ein schädigendes Ereignis in Frage kommt, und ob diese Person dafür ggf. belangt werden kann. Rechtlich gesehen sind das aber keine Vernehmungen, nur Befragungen.
Im amerikanischen Recht unterscheidet man übrigens zwischen Interview und Interrogation, was man am treffendsten wohl mit Befragung und Verhör übersetzen kann. In der deutschen Fachliteratur liest man den Begriff „Verhör“ auch noch oft, allerdings gilt er inzwischen als veraltet und überholt. Man sollte im Hinblick auf den zu Vernehmenden auch nur in Bezug auf seine rechtliche Stellung einen Unterschied machen (Zeugen und Beschuldigte haben gänzlich andere Rechte und Pflichten), im Hinblick auf die Durchführung der Vernehmung darf und sollte es keinen grundlegenden Unterschied geben. Es wird weder befragt noch verhört, sondern einfach nur vernommen. Und eine „verschärfte“ Form der Vernehmung (= Verhör) stößt nicht nur schnell an rechtliche Grenzen (siehe § 136a StPO), sie ist auch taktisch nicht wirklich zielführend.
Und wie bedeutsam ist die Vernehmung?
Auch wenn der Sachbeweis an Bedeutung gewonnen hat und kriminaltechnische Methoden (z.B. DNA-Analytik) neue und z.T. phantastische Möglichkeiten eröffnen, gilt der Personenbeweis (also die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und (im Hauptverfahren) Angeklagten) nach wie vor als sehr wichtiges Beweismittel, sowohl im Strafprozess wie auch im Zivilgerichtsverfahren, wo es aber nur Parteien gibt (Kläger und Beklagte). Umso wichtiger ist es, sich mit den rechtlichen, psychologischen und kriminalistischen Bedingungen, Unwägbarkeiten und Fallstricken auszukennen. Und davon gibt es eine Menge.